Der Tanz Von Ruth Hanke

 

An einer Hand kann ich abzählen, wie oft ich in meinem Leben mit meinem Vater, dem Chef, getanzt habe.
Das erste Mal war es an seinem 40. Geburtstag, an dem meine Mutter ein wunderschönes, rauschendes Gartenfest für ihn organisiert hatte und ich war 10 Jahre alt.
Die Geburtstagsparty startete am frühen Abend, es waren viele Gäste da, alle heiter, festlich gekleidet, die sich in den geschmückten Garten ergossen. Traumhafte Melodien geisterten durch die Nacht bis genau um halb elf. Da erklang die Aufforderung, sich mit den Damen im Atrium zu dem Abschiedstanz: „Good Night, Ladies!“ aufzustellen. Die Männer und Frauen stellten sich gegenüber in einem großen Kreis auf, worauf die Männer bei jedem „Good Night, Ladies“ von einer Dame zu anderen schritten, sich verbeugten, und die dritte Dame um die Taille fassten und zu der schwungvollen Country-Melodie dreimal im Kreis herumwirbelten. An diesen Tanz erinnere ich mich genau, auch dass ihn der Chef wie alle anderen mitgetanzt hat, ohne, dass etwas besonders aufgefallen wäre

Der Tanz von Ruth Hanke

An meiner Hochzeit war das etwas anders. Den ersten Tanz tanzten traditionell der Randolf und ich zusammen auf der sonst leeren Tanzfläche. Wir hatten für diesen Moment lange genug geübt, außerdem war unsere Tanzstunde auch noch nicht lange her, so dass wir den Walzer mühelos bewältigten. Der zweite Tanz brachte den Randolf mit seiner Mutter und mich mit dem Chef zusammen. Er, der Brautvater, verbeugte sich selbstbewusst, ergriff meine Hand, legte die andere um meine Taille, wartete den ins Blut rauschenden Rhythmus des Wiener Walzers ab und los ging es – oder sollte es eigentlich. Tatsächlich war ich geistig schon woanders, stellte aber fest, dass wir immer noch am selben Platz waren. Seinen linken Fuß hatte der Chef, wie ich zu meiner maßlosen Verwunderung feststellte, komplett starr wie festgeschraubt auf dem Parkettboden montiert, mit dem linken vollführte er, mich im Arm, eine Art Sternschritt, einen Ausfallschritt, der sofort wieder in die Ursprungslage zurückfiel. „Äh, Chef“, wunderte ich mich. „Was soll denn das für ein Tanz sein?“ „Wiener Walzer!“, behauptete er mit dem Brustton der Überzeugung. „Echt? Ich habe das Gefühl, als ob wir gar nicht vorwärts kommen.“ „Doch, doch, Ruthl! Das haben wir ganz genauso in der Tanzstunde in Schweinfurt so gelernt!“ „Aber die Mama ist mit dem Schwiegervater inzwischen schon dreimal im ganzen Saal herum gekommen!“
„Die wird ja auch falsch geführt!“, erwiderte er. Abgesehen davon, dass wir buchstäblich auf der Stelle traten, war es eigentlich kein schlechter Tanz. Wir unterhielten uns über die Predigt, ohne aus der Puste zu kommen, waren niemals in der Gefahr vor lauter sportlichem Ehrgeiz mit andern Paaren zu kollidieren und fühlten, unabhängig vom Diktat der Klänge das gegenseitige Einverständnis geistiger Harmonie.
Später fragte ich meine Mutter: „Sag mal, was tanzt denn der Chef da für ein Zeug zusammen, er behauptet, das hätte er in der Tanzstunde in Schweinfurt so gelernt. Kann das sein?“
„Sicher!“, erwiderte sie. „Dein Vater hat eine Tanzstunde besucht, das ist wahr und da haben sie ihm diesen Grundschritt beigebracht. Mit dem ist er seither zufrieden. Zu einer zweiten Tanzstunde ist es nie gekommen. Du siehst ja: Es geht auch so.“
 

Muttertag ist alle Tage …wohl wahr!  

 

Wir sind die Tempeltänzerinnen der Moderne, haben viele Hände, drei Köpfe mindestens, einen Terminkalender, der sich ständig automatisiert und in dem PAUSE nicht vorkommt. Unsere Beine reichen für das Marathontraining normalerweise aus, natürlich ohne Intervalltraining. Was uns aber auszeichnet, ist, dass wir mitten im Gesicht auch die Fähigkeit haben – noch zu lächeln – wenn schon alles buchstäblich den Bach runter geht und den einen wichtigen Satz: „Das kriegen wir schon wieder hin“. Mal ganz ehrlich, für wie viele Probleme reichen diese paar Worte aus, um Zuversicht zu erzeugen?

Muttertag

Unsere s.g. „ Job-Description“ passt mit Sicherheit in kein Bewerbungsfeld und wenn uns der Hausarzt fragt: Haben Sie Stress?“ kann ich von mir aus nur antworten: „Kommt es wohl noch schlimmer, ich denke es ist normal gerade“. Einmal fragte ich mit einer „Großfamilie“ am Haken mit drei kleinen Jungs und kranken Omas und Opas die Ärztin, ob ich auch einmal alleine auf Kur darf. Sie meinte nur: „Weil ich das lächelnd gefragt habe, geht es mir ja noch gut“. Stimmt, die Welt ging eben weiter.
Meine Mutter meint immer: „Der liebe Gott gibt uns nur Päckchen zu tragen, die man schafft“ – wahrscheinlich hat deshalb auch eine Frau den DHL-Paket-Service erfunden.
Aber Mutter hat auch was unglaublich schönes an sich und auch das stimmt. Familie, keine Einsamkeit, Erfolge und das gute Gefühl, man/frau wird gebraucht. Es ist sozusagen auch klar, dass wir aufgrund der vielen Pakete keine Denkschwäche im Alter bekommen oder zumindest ganz spät.
Lassen Sie es sich gut gehen, suchen Sie Ihre Lücken im System für sich selbst und genießen Sie eine Zeit, um die uns andere manchmal beneiden.